Robert Schad: Ein Kreuz für Fátima

Peter Anselm Riedl

Als mir Robert Schad am Telefon berichtete, er sei eingeladen worden, sich am Wettbewerb, für ein monumentales Kreuz für Fátima zu beteiligen, überfielen mich zwei Gedanken: War Schads Formensprache mit einem solchen Auftrag, wenn er denn zustande, kam, überhaupt vereinbar? Oder versprach nicht gerade die Differenz zwischen der, ikonografischen Herausforderung und Schads charakteristischem Zugriff ein Resultat, von besonderer Kraft?

Schad hat sein persönliches Idiom nach einer frühen Phase, in der er mit fügsameren, Materialien wie geschmiedeten und mit Textilien umnähten Stahlgerüsten arbeitete, in, der konsequenten Auseinandersetzung mit Industriestahl quadratischen Querschnitts, und immer weiter gesteigerter Dimension entwickelt. Die aus diesem, im Idealfall massiven,, Material durch Sägen oder Schneidbrennen gewonnenen Elemente sind jeweils, mittels Verschweißung zusammengefügt, und es sind die Fusionsstellen, an denen der, rechte Winkel meist seine Macht verliert und Formbildungen entstehen, die mehr an, organische Gelenke denn an technische Verbindungen erinnern. Nicht mit einem, Schmiedeverfahren hat man es also zu tun, ebenso wenig mit einer Technik, für die das, Kriterium konstruktiver Funktionalität gelten würde. Vielmehr geht es um eine höchst, originelle Mischung von technischer Kombinatorik und modellierender Gestaltung., Zu einem wichtigen Teil resultiert Schads Formenwelt aus der Beschäftigung mit Tanz, und Musik. Die Entdeckung des einerseits uniformen und sich andererseits als bildnerisch, gestaltbar erweisenden Vierkantmaterials eröffnete dem Künstler die Möglichkeit,, seine Phantasien in eine abstrakte, frei-gestische Raumschrift dauerhafter Art zu transponieren,, eine, so Schad, in Stahl gefrorene Zeit. Es ist faszinierend, wie das Metall, mit, dem man üblicherweise die Vorstellung von Maschinen, Konstruktionen oder gar Waffen, verbindet, unter Schads Händen zum Träger von Ausdruck wird. Wie das, was in der, Realität schwer und in sich starr ist, Signale von Leichtigkeit und Bewegtheit aussendet., Unter den vielen Werken des rhythmisch-skripturalen Typs finden sich etliche, die als, Leit- und Bezugsobjekte für die Ausdruckstanzbühne konzipiert wurden. Indes gibt es, auch betont statische Gegenmodelle zu den dynamisch anmutenden Skulpturen, nämlich, Werke, die durch einen straffen Vertikalaufbau geprägt sind und die durch Bündelung, von Stabelementen zuweilen zur Blockhaftigkeit tendieren. Andererseits kann sich, Höhendrang auch mit Bewegtheit verbünden, wie bei der Skulptur „ENFIM“ von 2000 und, ihren etwas späteren Varianten: Bis zu einer Höhe von etwa 18 Metern türmen sich Vierkantstahlsegmente, zu einem Gebilde, das in vielfachen Knickungen immer wieder aus, dem Lot ausbricht und mit seinem Aufstreben an einen riesigen Halm erinnert, der sich, weder durch Unwägbarkeiten des Wachstums noch durch den potentiellen Verlust an, Standsicherheit beirren lässt.

Erinnerungen an Vertrautes handle es sich um Vegetatives, Animalisches oder auch, Architektonisches, werden von Werken Schads immer wieder geweckt, doch die Assoziationschancen, haben dort ihre Grenze, wo es um Direktbenennbarkeit geht. Stets, bleibt die Beziehung zur Wirklichkeit im Analogischen. Besser muss man sagen blieb, denn der Auftrag, ein Kruzifix zu gestalten, war zugleich die Aufforderung, sich einem, figürlichen Thema zu stellen, war darüber hinaus der Appell, sich einer mächtigen Tradition, einzugliedern und diese fortzuschreiben. Allerdings war über das Kreuz mit dem, aufragenden Stamm und dem Vertikalbalken, beide mit rechteckigem Querschnitt, dem, eigenen Formverständnis eine Ankoppelungsmöglichkeit geboten. Für den Gekreuzigten, musste aber ein Darstellungsmodus gefunden werden, der körperliche Deutlichkeit mit, zeichenhafter Knappheit glaubhaft vereint, und zwar so, dass Kreuz und Kruzifixus, materiell und ästhetisch in Wechselklang geraten.

Auf der Suche nach Anregungen hat Schad einen Gang durch die Kunstgeschichte, unternommen, der ihm die ganze Fülle der Überlieferung bewusst gemacht hat. Angefangen, von frühchristlichen Kreuzigungsdarstellungen bis in die frühe Moderne hat er, anhand der seit den Jahren seines Kunstgeschichtsstudiums gesammelten Fachliteratur, eine Entwicklung verfolgt, an der sich exemplarisch die Wandlungen in der Auffassung, von Leiblichkeit und die Entfaltung emotionaler Reaktionsweisen nachvollziehen lassen., Am ottonischen Gero-Kreuz im Kölner Dom, dem frühesten Großkruzifix der abendländischen, Kunst, fesselte ihn beispielsweise die mit erstaunlichem Wirklichkeitssinn bewältigte, Modellierung, am romanischen Imervard-Kreuz im Braunschweiger Dom die, hieratisch-unerbittliche Strenge. In dem an einem Gabelkreuz hängenden Christus des, gotischen Pestkreuzes im Kölner Dom erkannte er ein Paradigma für die verzehrende, Macht des Leidens. Und dass die Reaktion auf die Anfechtungen durch den Schmerz für, die Folgezeit ein großes Thema blieb ob im Sinne einer antikisch-idealisierenden Überwindung, wie bei dem von Schad hoch geschätzen Kruzifix des jungen Michelangelo aus, Santo Spirito in Florenz oder aber im Sinne einer expressiven Übersteigerung wie bei, Matthias Grünewald oder später, bei El Greco, erschloss sich ihm beim Studium des schier, unerschöpflichen kunsthistorischen Fundus. Auch mit außereuropäischer christlicher, Kunst setzte sich Schad auseinander, und es waren vor allem Werke afrikanischer Herkunft,, die ihn mit ihrer Innerlichkeit und Einfachheit in seinem Bemühen um die, Formulierung eines interkulturell sprachfähigen Zeichens für alle Christen dieser Welt, bestärkten.

Dabei hat Schad keineswegs nach unmittelbar umsetzbaren Vorlagen gefahndet. Er hat, vielmehr Form- und Verhaltensmotive aufzuspüren versucht, die über jeden stilistischen, Wechsel hinweg bildnerische Gültigkeit versprachen, nicht zuletzt unter dem Aspekt der, Tauglichkeit für optimale Fernwirkung. Im Modell hat er abgesehen von einer asymmetrischen, Variante, die bei den Auftraggebern auf Ablehnung stieß, alternativ erprobt, ob, die herkömmliche Kombination von Kreuz und Körper vorzuziehen sei oder vielleicht die, alleinige Präsentation der Christusgestalt, die dann auch die formale und ikonografische Funktion des Kreuzes hätte übernehmen müssen. Nachdem die Entscheidung zugunsten, der ersten Lösung gefallen war, musste die äußerst schwierige Aufgabe der Monumentalausführung, gemeistert werden. Bei den für Kreuzesstamm und Korpus vorgesehenen, großen Querschnitten kam die Verwendung von Vollmaterial nicht in Frage, doch wusste, Schad die quadratischen Stäbe derart als Hohlkörper aufzubauen, dass der Eindruck, von Massivität entsteht, ein Eindruck, der freilich durch die enorme Höhe des Ganzen, relativiert wird. Der Christuskörper auf eine Folge von Stabsegmenten reduziert, die miteinander, in stumpfen Winkelungen und berechneten Torsionen verbunden sind, hängt, mit weit ausgespannten Armen so, dass ein Zustand zwischen qualvoller Passivität und, majestätischer Enthobenheit angezeigt wird. Und die Haltung des Kopfes lässt sich, sowohl als schmerzvolle Neigung als auch als ein zuwendendes Niederblicken auf die, unten versammelten Gläubigen lesen.

Auf unvergleichliche Weise fallen bei Robert Schads Fátima-Kruzifix Körper und Kreuz, in eins und bleiben doch unterschieden. Der Körper ist gewissermaßen zum Ausdrucksgerüst, seiner selbst geworden, das Kreuz ist Symbol und Körperecho zugleich. Der überreichen, Gattungsgeschichte hat Schad ein wahrhaft innovatives Glied hinzugefügt, das, als Partner des auf architektonisches Triumphgehabe verzichtenden und gleichwohl, monumentalen Kirchenneubaus von Alexandros Tombazis verstanden sein will. Nicht die, gängige Formel „Kunst am Bau“, betont Robert Schad, werde dem Miteinander von, Skulptur und Bauwerk gerecht, eher die schlichtere Formel „Kunst und Bau“.